Wärmen Sie oder Menschen aus Ihrer nächsten Umgebung immer wieder Themen in einem Streit auf, die schon zigfach besprochen wurden und eigentlich als abgeschlossen galten? Bestimmt die Frage nach Schuld maßgeblich über den Verlauf Ihrer Auseinandersetzungen? Kennen Sie das Gefühl, (sich selbst) einfach nicht verzeihen zu können? Vielleicht kommt es Ihnen ebenfalls bekannt vor, nach einem Streit noch lange wach zu liegen und sich den Kopf darüber zu zerbrechen, ob nun tatsächlich alles wieder okay ist: Hat mein Gegenüber seine Entschuldigung wirklich ernstgemeint? Ist meine Entschuldigung angekommen? Oder fühlen Sie sich manchmal nach einem Konflikt weiterhin im Unrecht und unverstanden oder aber auch von der eigenen Schuld förmlich zerfressen?

Wenn Sie sich diese und ähnliche Fragen bereits gestellt haben, dann kann es sein, dass Sie Ihre Konflikte bisher noch nicht richtig aufgeräumt haben. Besonders im Alltag mit Kindern gibt es immer wieder Konfliktpotenzial zwischen den einzelnen Familienmitgliedern. Was wäre, wenn Sie eine Technik hätten, um Ihre Konflikte auf- und auszuräumen? Eine Technik, mit der Sie sowohl Ihre Empathie, Konfliktkompetenz und Resilienz als auch die Ihrer Kinder fühlbar fördern könnten?

Ich bin vor einiger Zeit auf ein Ritual im Setting einer Familienkonferenz gestoßen und dieses Ritual verändert seitdem mein Leben. Es formt meine Haltung zu meiner Umwelt und zu mir selbst, denn ich öffne mich viel häufiger für die Möglichkeit, dass jemand (bzw. ich selbst) einfach „nur“ für sich und nicht gegen sein Gegenüber (z.B. mich) gehandelt hat, auch wenn er/sie dafür vielleicht eine schlechte Strategie gewählt hat. Und ich öffne mich für die Möglichkeit, dass auch ich durch mein Tun bzw. Nicht-Tun Einfluss auf diesen Konflikt genommen habe. Seit wir in der Familie dieses Ritual leben, um mit unseren Konflikten aufzuräumen, verabschiede ich mich gütlich von der Vergangenheit, lasse sie explizit los und vergebe. Dadurch kann ich mich viel besser auf das Hier und Jetzt fokussieren und Lösungen für die Zukunft finden.

Im Folgenden lade ich Sie auf eine Reise ein, Ihre Konflikte mit einem Ritual abzuschließen, das Ihnen Entlastung und Zuversicht, vielleicht sogar Heilung bringt.

Ho’oponopono bedeutet so viel wie „etwas in Ordnung bringen“ und ist in der hawaiianischen Kultur schon seit vielen Generationen eine wichtige Methode, um Konflikte zu bereinigen, Krisen zu lösen sowie Frieden und Gleichgewicht wiederherzustellen. Die Verbundenheit zwischen allen Lebewesen ist für die Hawaiianer eine zentrale Lebensauffassung, denn durch diese Verbundenheit trägt jeder Einzelne die Verantwortung für sich selbst und gleichzeitig auch für die Gemeinschaft und wiederum dadurch für die gesamte Umwelt. Da alles miteinander verbunden ist, gibt es niemals nur einen Auslöser für ein Problem – a l l e, die in irgendeiner Weise mit der Angelegenheit verbunden sind, haben auch ihren Anteil (nicht zu verwechseln mit Schuld) daran. In der westlichen Kultur geht es bei Konflikten oft darum, wer „schuldiger“ ist als der andere. Es geht meist um ein Ungleichgewicht, das in der Konsequenz zu einem Gewinner und einem Verlierer führt. Der Verlierer muss sich dann entschuldigen, da er den „größeren“ Fehler gemacht hat. Diese Herangehensweise führt dazu, dass Konfliktparteien ihre Konflikte oft nicht tiefgehend bereinigen bzw. dass ein tieferes Eintauchen in die Konflikthintergründe nicht möglich ist – man hat eben meist viel zu verlieren. Vielleicht kennen Sie Diskussionen, in denen die Konfliktparteien immer wieder die andere Seite darauf hinweisen, was aus ihrer Sicht falsch gemacht wurde… Ein „Aber DU hast…“-Kreisel entsteht, aus dem es sehr schwer ist auszubrechen bzw. eine Seite sich dann zurücknimmt „um des lieben Friedens willen“ (der dann aber nicht lange währt). Echte Heilung des Konflikts findet allerdings so nicht statt. Im Umgang mit Kindern wird es ganz besonders deutlich: Kinder lernen in unserer Gesellschaft, dass eine Entschuldigung Erleichterung für die andere Partei bringen soll. Das Wort soll suggerieren, dass man eine Einsicht hatte, Reue zeigt. Kinder benutzen dieses Wort (wenn es ihnen denn über die Lippen kommt) allerdings meist inflationär. Sie haben gelernt, dass es im gesellschaftlichen Kontext erwartet wird. Wenn Eltern dann aber genau hinschauen, sehen sie, dass es niemandem wirklich gut damit geht. Weil es eben nicht um Schuld geht, sondern darum, wie Dinge sich gegenseitig beeinflussen – ähnlich wie beim sogenannten Butterfly-Effekt, bei dem ein Flügelschlag eines Schmetterlings einen Monsun auslösen kann. Es geht nach Ansicht der Hawaiianer darum, s e i n e n Anteil zu identifizieren, um Verzeihung zu bitten, die Bitte um Verzeihung anzunehmen und gemeinsam eine Lösung für das Problem zu finden. Negative Emotionen werden nicht weiter mitgeschleppt, denn Ungeklärtes wird noch vor Sonnenuntergang bereinigt. Die Hawaiianer pflegen zu sagen: „Bevor die Sonne untergeht, vergib.“

Um das Ritual erfolgreich durchzuführen, ist nur eines wichtig: Dass alle Teilnehmenden ehrlich und bemüht sind, ihren eigenen Anteil am Problem zu entschlüsseln.

Ho’oponopono zu Hause als Familienkonferenz einführen

Ganz traditionell werden Sie dieses Ritual wahrscheinlich nicht durchlaufen können, dafür können Sie es sich ganz auf Ihre eigene Familiensituation zuschneiden. Es ist auch nicht zwingend notwendig, dass alle Personen, die in den Konflikt involviert sind, daran teilnehmen.

Erklären Sie (am besten ohne Streitanlass) in aller Ruhe Ihrer Familie, warum Sie diese Form der Familienkonferenz ausprobieren möchten und geben Sie einige Informationen zu der Lebensphilosophie der Hawaiianer – also, dass alles miteinander verbunden ist und der sogenannte „Aloha-Spirit“ mit seiner zugewandten, liebevollen und mitfühlenden Geisteshaltung das ethische Kernstück jener Lebensphilosophie bildet.

Versuchen Sie, das Ho’oponopono erst dann zu beginnen, wenn Sie alle nicht mehr ganz so emotional sind, die Grundstimmung ein bisschen abgekühlt ist. Achten Sie darauf, dass während des Ho’oponopono kein neuer Streit entfacht, unterbrechen Sie, wenn die Kommunikation nicht mehr respektvoll und wertschätzend bleibt. Brechen Sie das Ritual nicht ab, aber entwickeln Sie gemeinsam eine neue Gewohnheit, die Sie wieder miteinander verbindet. Das kann zum Beispiel ein Gebet sein oder die Formulierung eines Dankesspruchs oder auch eine Achtsamkeitsübung. Führen Sie das Ho’oponopono fort, wenn die Beteiligten bereit dafür sind. Zunächst definieren Sie gemeinsam das Thema des Konflikts und lassen Sie jede/n kurz seine / ihre Sicht der Dinge schildern. Lassen Sie sich gegenseitig ausreden und hören Sie sich aufmerksam zu. Fragen Sie nach, wenn etwas unklar oder missverständlich ist. Überlegen Sie alle im zweiten Schritt ihren persönlichen Anteil an diesem Problem (Was haben Sie getan oder auch nicht getan?). Manchmal fällt es schwer (besonders den Kindern), hier eine neue Perspektive einzunehmen. Gedulden Sie sich und geben Sie auch Ihren Lieben einen Augenblick der Stille, um zu sich zu finden. Schweigen Sie, geben Sie nichts mehr vor (Sie haben ja bereits alle im ersten Schritt Ihre Sicht der Dinge mitteilen können). Akzeptieren Sie, wenn jemand seinen Anteil nicht finden konnte. Gehen Sie dann über in die Bitte um Verzeihung. Jeder sagt, dass es ihm leidtut (hierbei ist es sehr heilend für die anderen, wenn jeder formuliert, was ihm/ihr leidtut – also, was der jeweilige Anteil am Problem war). Formulieren Sie dann nacheinander „Ich bitte dich / euch und mich um Verzeihung.“ Sie bitten also immer alle Personen um Verzeihung, die ebenfalls in den Konflikt involviert sind UND sich selbst. Dieser Schritt ist enorm wichtig, da es nicht ausreicht, nur von außen eine Vergebung zu erfahren. Wirklich bereinigt werden kann ein Konflikt nur dann, wenn jeder auch innerlich entscheidet, sich selbst um Vergebung zu bitten. Anschließend kommen Sie in die Phase der Vergebung. Formulieren sie jede(r) nacheinander „Ich vergebe dir, dass… und ich vergebe mir, dass…“ Nach der Vergebung danken sich alle selbst und den anderen für das, was Ihnen an der Person, dem Konflikt oder in dem Ho’oponopono wichtig ist. Zum Beispiel „Ich danke euch und mir, dass wir das Ho’oponopono genutzt haben, um den Konflikt aufzuräumen“. Zuletzt wird die Liebe in den Fokus gerückt, bei uns zu Hause sagen wir: „Ich liebe dich und ich liebe mich“.

Das Ritual wird der Möglichkeit nach mit einer schönen und verbindenden Tätigkeit abgeschlossen, entweder ganz traditionell mit einem großen Ho’oponopono-Essen, mit einem gemeinsamen Spiel oder zum Beispiel mit Kuscheln.

Es bietet sich an, die Lösung des Problems (z.B. eine Form der Wiedergutmachung) dann zu besprechen, wenn Sie in der Vergebungsphase sind. Meiner Erfahrung nach ist das jedoch gar nicht unbedingt notwendig. Deshalb lagern wir die Lösungsfindung lieber auf eine separate Familienkonferenz aus, um das jeweilige Setting nicht zu lang zu gestalten.

Manchmal liegt eine Verletzung zu tief, die Emotionen sind noch zu aufgewühlt, dass es Ihnen vielleicht schwerfällt, eine Vergebung auszusprechen. Es ist nicht zwingend erforderlich in genau diesem Moment vergeben zu müssen. Überhaupt etwas zu m ü s s e n. Sie können in diesem Fall die Bitte um Verzeihung anerkennen und z.B. formulieren: „Ich erkenne deine Entschuldigung an und ich danke dir dafür. Ich bin im Moment nicht bereit, dir (oder mir) zu vergeben, jedoch öffne ich mich für die Möglichkeit, dies zu einem späteren Zeitpunkt zu tun.“ Führen Sie vielleicht ein paar Tage später noch einmal ein Ho’oponopono durch und schauen Sie genau hin, was Sie brauchen, damit Sie den Konflikt verabschieden können.

Ho’oponopono eignet sich auch dafür, dass Sie ganz allein einen Konflikt mit dem Außen bereinigen, z.B. wenn Ihr Kind noch zu jung für das Ritual ist oder ein Ho’oponopono aus anderen Gründen nicht stattfinden kann. Stellen Sie sich bitte vor, warum Sie anstelle der anderen Person, um die es dabei für Sie geht, genauso gehandelt hätten, wie eben diese Person. Finden Sie alle Gründe, die Ihnen in den Sinn kommen – auch wenn diese Ihnen noch so absurd erscheinen. Sammeln Sie alles, was „denkbar“ ist. Den genauen Grund werden Sie vermutlich nie erfahren und letztlich ist er auch vollkommen unerheblich, um mit der Situation Ihren Frieden zu finden. Starten Sie nun das Ritual, indem Sie sich noch einmal genau um die Situation bewusstwerden und beleuchten Sie dann Ihren möglichen Anteil daran. Bitten Sie die andere (nicht anwesende) Person und sich selbst um Verzeihung. Vergeben Sie sich und der anderen Person. Denken Sie daran, dass Sie nicht vergeben müssen, um mit dem Ritual fortzufahren. Öffnen Sie sich für die Möglichkeit, der anderen Person und sich selbst zu vergeben. Danken Sie der anderen Person und sich selbst. Formulieren Sie eine Liebesbekundung an sich selbst und die andere Person oder das Problem oder an die Welt…

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Freude und Leichtigkeit beim Verabschieden alter Konflikte!

Aloha!

 

(Autorin: zert. Elterntrainerin Constance Hanke)

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